Wo sind all die Jahre hin?
"Was ist denn passiert, warum hab ich diesen Blog nicht weiter geführt?" Das war die Frage, die ich mir heute stellte, als ich über meinen Blog stolperte, den ich schon vergessen hatte.
Leben. Das ist passiert. Sechs Jahre Leben. Sechs Jahre in denen verdammt viel passiert ist und die ich hinterher trauere, dass ich nicht mehr davon hier aufgeschrieben habe. Manchmal hab ich Tagebuch per Sprachmemo geführt, aber nichts schriftlich festgehalten. Schade. Denn, wie ich ebenfalls heute erstaunt feststellte, ist das, was ich geschrieben habe sehr gut lesbar. Es hat mir Freude bereitet. Weil es gut formuliert war und ich an vielen Stellen schmunzeln und an einigen sogar laut lachen musste.
Warum hab ich aufgehört? Weil ich keine Zeit hatte, stimmt nicht. Ich hab sie mir nur nicht genommen. Und das tue ich nach wie vor viel zu wenig. Deswegen war ich zwei Jahre in Therapie, weil ich wieder eine depressive Phase hatte. Ausgelöst von dem Lockdown, der uns alle im März 2020 heim suchte und durch die schwere depressive Phase, die der Tintenfisch durchmachte.
Pubertät, Kontaktabbruch, Lockdown, soziale Isolation, Einsamkeit, Hoffnung, Enttäuschungen, Ängste...wir haben so viel durchgemacht in den letzten Jahren. Aber es ging immer bergauf. Manchmal sind wir ein paar Schritte zurückgegangen. Aber nur um Anlauf zu nehmen.
Wir haben uns erholt. Wir haben neuen Anlauf genommen in ein hoffnungsvolles 2022.
In wenigen Wochen ziehen wir in unser eigenes Haus. Der Umbau läuft seit fast fünf Wochen auf Hochtouren, Alex arbeitet 17-18 Stunden am Tag. Wir sehen ihn kaum. Ich kann nicht halb so viel helfen wie ich möchte. Lynn und Mathilda (unsere französische Bulldogge) müssen versorgt werden, nach den Osterferien und dem endgültigen Wegfall der Maskenpflicht sind fünf Lehrerinnen krank, sodass der zweite und dritte Schultag nach den Ferien bereits ausfiel. Zudem bekam Lynn eine Blasenentzündung mit Blut im Urin und muss von mir zu Hause betreut werden.
Ich bin genervt. Lynn ist sehr anstrengend im Moment. Oder vielleicht bin auch ich es, die anstrengend ist. Lynn ist ein furchtbarer Klugscheißer, weiß alles besser und diskutiert bis zum Kollaps. Meinem Kollaps. Ich liebe sie. Ich bin ein absoluter Gegner von Gewalt. Aber manchmal möchte ich ihr mit der flachen Hand auf die Stirn hauen. Wie stur kann man denn bitte mit 7 Jahren sein?!
Sie hat Probleme mit dem Lesen. Weil es ihr zu anstrengend ist. Gerade mache ich mit ihr Aufgaben, die ihre Lehrerin geschickt hat. Sie macht sie. Aber falsch. Weil sie zu faul ist, die Aufgabenstellung zu lesen. Sie möchte, dass ich sie lese. Bloß nichts selbst erarbeiten. Das ist ihr zu viel. Und ich habe keine Lust mehr zu diskutieren. Dann schicke ich sie ohne Aufgaben in die Schule. Damit sie sich selbst verantworten muss vor ihrer Klassenlehrerin. Ich bin am Ende mit meinem Latein. Ich habe alles versucht. Ich übe mit ihr. Ich mache mit ihr die Hausaufgaben, obwohl ich sie für 80€ im Monat in der OGS und Hausaufgabenbetreuung angemeldet habe. Dort ist es ihr aber zu laut. Sie lässt sich sehr leicht ablenken und ist mehr mit den Emotionen der anderen beschäftigt, als mit ihrem Lernstoff. Lynn ist hochsensibel. All ihre Sinne sind über-empfindlich. Sie sieht mehr, hört mehr, riecht, schmeckt und fühlt mehr als andere. All diese Reize kann sie kaum verarbeiten. Ihr ist ständig alles zu viel. Von wem sie das hat? Drei mal dürft ihr raten.
Es ist extrem Kräfte zehrend. Ich bin sehr müde und erschöpft. Und das schon nach einem Dreivierteljahr Schule. Ich weiß nicht, ob sie die Versetzung schaffen wird. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, ob sie Analphabet bleibt, weil ich nicht das Gefühl habe, dass irgendwas fruchtet. Worte die länger als vier Buchstaben lang sind, sind eine unüberbrückbare Hürde. Sie liest Buchstaben die nicht da sind, sie guckt ständig überall hin, nur nicht auf ihr Blatt. Schreiben kann sie fast gar nicht. Ich bin verzweifelt. Ich bin am Ende mit meiner Geduld. Ich habe eine Scheißangst, dass mein Kind einfach nur dumm sein könnte. Dass sie nicht so begabt und wissbegierig auf Buchstaben und Worte ist, wie ich es war und bin. Ich liebe Worte, ich liebe es zu lesen. Sie hasst es.